Die Zwergenfrau Irma, ihr Mann Lassip und ihre Tochter Sonngard lebten in der Stadt Erzheim unter dem Sturzgebirge, im Westen Andavias. Sie hatten ihre älteste Tochter Gila auf schicksalhafte Art in einem alten Stollen verloren. Sie und Lassip spielten dort und wurden von einem Steintroll überrascht.
Irma wird nie vergessen, wie ihr Mann mit dem Kind in den Händen vor ihr stand. Die Tränen, die sein sonst so fröhliches Gesicht zierten. Sie ging zu ihm, hob den Kopf des Mädchens an. Das rote Haar war vom Blut verklebt. Die Zwergin weinte jeden Tag.
Seitdem hatte sich Lassip verändert. Er zog sich zurück, sprach wenig und war lieber allein. Für seine Familie hatte er keine Zeit mehr. So geschah es, dass der Bergmann eines Tages erst spät von der Arbeit nach Hause kam. Irma wartete seit Stunden auf ihn und versuchte, das Essen warm zu halten, doch Lassip kam nicht.
»Wo kommst du jetzt her?«, fragte sie ihn, als er in der Tür stand.
Sie sah ihn an und bemerkte ein Grinsen auf seinem Gesicht. Das hat sie lange nicht mehr gesehen. Sie war wütend, aber ihren Mann mit diesem Lächeln zu sehen, beruhigte sie.
Lassip zuckte mit den Schultern. »Ich musste länger arbeiten.«, sagte er.
Am nächsten Tag kam Lassip wieder später nach Hause. Er roch gut und war schick gekleidet. Irma überlegte, was passiert sein könnte. Hat er ein Verhältnis?, dachte sie sich und schüttelte den Kopf. Lassip und eine Affäre. Das glaube ich nicht.
Doch Wehmut kam in ihr auf. Er durfte keine andere haben. Auch wenn er jetzt anders war, er liebte sie und ihre gemeinsame Tochter.
Sie erzählte das bei einem Nachmittagskaffee einer Freundin. »… was, wenn er dich wirklich betrügt?«, fragte die Zwergin mit dem rosa Hut. Unter ihm schaute blond gelocktes Haar hervor. »… du musst dem nachgehen!«
»… und Sonngard? Ich muss für sie essen kochen und mich um sie kümmern.«
Die Frau winkte ab. »Sie kann zu mir kommen. Ich betreue sie ein paar Tage und du kümmerst dich um deinen Mann!«
So schlich Irma am frühen Nachmittag zu dem Stollen, in dem Lassip arbeitete. Ein paar Arbeiter kamen ihr entgegen. Die sonst blauen Anzüge der Zwerge waren vom Dreck braun gefärbt. Auf den Kopf trugen sie Helme mit Lampen.
»Sie dürfen hier nicht durch!«, brummte ein Zwerg Irma an. Sie erschreckte und trat sofort einen Schritt zurück. Sie nickte ihm zu.
»Suchen Sie jemanden?«, fragte er.
»Nein ….« Sie stotterte, schaute über die Menge drüber. Sie wollte, dass der Mann sie in Ruhe lässt. Lassip könnte jeden Augenblick kommen und sie sehen.
»Nein, es geht schon.« Irma trat an die Seite und der Zwerg grunzte und ging weiter.
Irma versteckte sich hinter einer Grubenbahn. In den Waggons lagen Erze. Von hier aus konnte sie den Eingang zum Stollen sehen. Ab und zu schmissen Zwerge etwas in die Gondeln. Wachsam blieb sie dahinter.
Nach einer Weile sah sie Lassip. Er unterhielt sich mit anderen Zwergen, dann lief er in den Tunnel, der in die Wasch- und Umkleideräume führte.
Nach einer Zeit kam er sauber und ordentlich hinaus. Sie sah ihn über die Brüstung an. So hatte sie ihn lange nicht mehr gesehen. Sie verfolgte ihn. Er nickte einigen Leuten zu. Bei manchen hob er die Hand, bei anderen sagte etwas.
An einer Taverne ging er zu einer Zwergin, die dort stand. Sie hatte braunes langes Haar, trug ein helles Kleid. Lassip umarmte sie, gab ihr einen Kuss auf die Wange, dann betraten sie das Haus. Irma durchfuhr es. Sie war wütend, ihr Kopf wurde heiß. Schweiß rann ihr über die Stirn. »Na warte nur!«, drohte sie.
Nach einer Weile kam er allein heraus. Er hatte etwas großes Langes in der Hand, das in Papier eingepackt war. Irma war neugierig, was er trug.
Er ging nach Hause und verschwand in einem Hinterhof. Durch eine Torfahrt hindurch. Irma blieb an einer Wand stehen und sah, wie Lassip sich an einer Tür zu schaffen machte. Dann betrat er den kleinen Schuppen. Sie schlich an diesen heran und lugte durch das kleine vergilbte Fenster. Sie sah, wie Lassip ein Holzgerüst auspackte, das er aufstellte. Er nahm er eine große Leinwand und packte sie darauf. Irma musste in sich lachen, als sie sah, wie Lassip Kartusche und Pinsel nahm, und begann zu zeichnen. Er pfiff ein Lied, das sie draußen hörte. Sie beobachtete ihn noch eine Weile, dann ging sie in das Haus, in dem sie wohnten.
Irma war beruhigt, dass er sich in der Werkstatt ein Hobby suchte und nicht bei der Zwergendame war. Die nächsten Tage kam Lassip auch später nach Hause. Wenn sie ihn darauf ansprach, wich er ihr aus. Sie tat es ab, wusste sie doch von seinem kleinen Geheimnis.
Es waren ein paar Wochen vergangen, als er plötzlich mit einer großen rechteckigen Platte nach Hause kam, sie war in Papier verhüllt. Neugierig sah sie ihn an.
»Ich habe etwas mitgebracht,« sagte er und hielt es in der Hand. Irma sah ihn gespannt an. Sie war neugierig, was er gezeichnet hatte. Er hielt es hoch und riss die Hülle herunter. Sie traute ihren Augen kaum, als sie das Bild sah. Sie hielt sich die Hände vor dem Mund und spürte, wie Tränen ihren Blick glasig machten.
Auf dem Bild war ein Mädchen. Helle blaue Augen funkelten wie Saphire. Blondgelocktes Haar glänzte wie Gold, dass von der Mittagssonne angestrahlt wurde. Es waren silberne Rosen eingeflochten, an der Stirn trug sie ein kleines Diadem mit einem Diamanten. Ihre Haut war rein, die Lippen rot und voll. Sie schmunzelte. Dieses Lächeln, das war das Lächeln, das Irma vergessen hatte.
Sie sah Lassip an, Tränen standen in seinen Augen, dann drücke sie ihn.
»So will ich unsere Tochter in Erinnerung haben.«, sprach er. Sie nickte ihm zu.
– ENDE –
Der Text entstand 2022 für den Schreibwettbewerb ÜBER WASSER – ÜBER ERDE – ÜBER UNS von der Literatur-Apotheke und hat es unter die 50 besten Texte geschafft. Er wird als Epilog im Buch Der Fluch des Nekromanten sein, welches 2024 veröffentlicht wird.