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»Jetzt guck nicht wie ein begossener Pudel«, sagte Harda zu Phöbus, während sie das Bett im Waisenhaus bezog.
Crispin rannte durch den Schlafraum und rief immer wieder: »Phöbus ist ein begossener Pudel.«
Phöbus setzte sich auf das unbezogene Bett. »Wir sind fast ein Jahr zusammen …«, jammerte er.
»Musst du dich dorthinsetzen?«
Er sprang auf. »…tschuldige.«
»Die Zeit vergeht, nicht wahr?«, quälte sich Harda als Antwort raus.
Phöbus nickte. »Weiß nicht mal, was ich ihm schenke, würde gern mit ihm irgendwo hin.«
Crispin kam auf die beiden zugelaufen. Dann zog er an Hardas Rock. »Harda, darf ich dir, auch was zu unserem Einjährigen schenken?«
Phöbus und Harda lachten. Der kleine Junge mit seinem blonden Wuschelkopf sah so süß aus, wie er das Mädchen anschmachtete. Sie bückte sich zu ihm herunter und nahm ihn auf den Arm. »Was willst du mir denn schenken?«
»Einen Ring mit einem richtig fetten Diamanten. Der überall glitzert und funkelt.«
»Da freu ich mich aber«, grinste Harda das Kind an.
»Weißt du, wenn ich groß bin, dann will ich dich heiraten.« Crispins Wangen färbten sich rot.
Wieder lachten beide. Der Kleine schüttelte den Kopf. »Nicht lachen. Ich will dich wirklich heiraten.« Der Junge verzog seine Schnute und runzelte die Stirn.
Harda verkniff sich das Lachen und nickte ihm zu. »Lass uns mal in 10 oder 15 Jahren schauen, was sich bis dahin ergibt.«
»Aber ich möchte mit dir auch nächste Woche Einjähriges feiern.«
»Ich lasse mir was einfallen.« Sie zwinkerte Crispin an. Dann rannte der Junge aus dem Raum und rief durch das ganze Haus. »Harda heiratet mich.«
Phöbus bekam vom Lachen Bauchkrämpfe. »Aus der Nummer kommst du nicht mehr raus.«
Sie schüttelte den Kopf. »Das glaube ich auch.«
Harda drückte Phöbus das Bettzeug in die Hand. »Tewen hat eingepullert. Nimm es und bring es in den Waschraum. Kannst es auch gleich in der Wanne einweichen.«
»Ihh«, sagte Phöbus und schmiss das Zeug weg.
»Du bist mir echt eine große Hilfe.« Das Mädchen sah ihn zornig an. »Hatte gestern erst die Betten frisch bezogen. Es ist bereits getrocknet. Brauchst keine Angst zu haben, dich vollzuschmieren.«
Phöbus hob das Zeug behutsam auf und brachte es in die Waschküche, wo er es einweichte.
»Ist Tewen hier?«, fragte Lucia, die in den Raum hineinschaute.
Phöbus schüttelte den Kopf. »Nein.«
Sie hob die Schultern. »Wo ist er nur hin, ich kann ihn nirgends finden.«
»Frag doch mal Harda. Wir haben sein Bett frisch bezogen.«
»Sie hat ihn auch nicht gesehen.«
»Vielleicht ist er irgendwo spielen oder spielt mit euch Verstecken.«
Am Abend klopfte es laut an der Tür. »Phöbus mach auf«, rief Harda von draußen. Er rannte hin und öffnete sie. Das Mädchen atmete schwer, ihre Wangen waren blutunterlaufen.
»Was ist?«, fragte er.
Das Mädchen warf die Hände in die Luft. »Ich kann Tewen nicht finden.«
»Lucia hat ihn vorhin schon gesucht. Ist was passiert?«
Sie schüttelte den Kopf. »Ich habe ihn heute Morgen vollgemeckert, weil er ins Bett gemacht hat. Da ist er traurig abgezogen. Seitdem hat ihn niemand mehr gesehen.«
»Also konnte ihn Lucia auch nicht finden?«
Das Mädchen nickte.
»Er hat sich bestimmt irgendwo im Waisenhaus versteckt.«
Harda schüttelte den Kopf. »Wir haben alles durchsucht, jede Ecke, jeden Schrank, jedes Staubkorn haben wir umgedreht. Er ist nicht da. Wir haben keine Ahnung, wo er sein könnte. Kannst du mir helfen, ihn zu suchen?«
Phöbus zuckte mit der Schulter. »Wenn er weggelaufen ist, dann wird es schwierig, ihn wieder zu finden.«
»Phöbus bitte«, flehte ihn das Mädchen an. »Er ist so klein, ich habe Angst, dass ihm etwas zugestoßen ist. Wir brauchen deine Hilfe.«
»Na gut, ich komme.« Phöbus griff zu seiner Jacke und zog sich die Schuhe an, dann verließ er das Haus.
Phöbus und Harda liefen die Straße entlang.
»Vielleicht hat ihn ja jemand gesehen«, sagte Phöbus.
»Kurd und Lucia suchen bereits nach ihm. Egon bleibt bei den anderen. Ich hätte nicht so mit ihm schimpfen sollen.«
»Mach dir keine Vorwürfe, wir finden ihn bestimmt.«
Gemeinsam liefen sie durch die Stadt, befragten die Leute, ob sie einen knapp 2 Fuß hohen Zwerg gesehen haben. Keiner konnte ihnen eine Antwort geben. Harda stellte sich an den Straßenrand und stemmte vor Wut die Fäuste in die Hüfte. »Er muss doch irgendwo sein!« Lucia und Kurd kamen Kopf schüttelnd angerannt. »Uns konnte auch keiner helfen«, sagte Kurd.
»Habt ihr eine Idee?«, fragte Lucia. Harda sah Phöbus fragend an. Dieser überlegte. »… wenn wir Kolbert fragen?«, schlug er vor.
»Wintermair?«, fragte Harda. »Wie soll der uns denn helfen können?«
»Vielleicht hat einer seiner Kunden etwas gehört«, sagte Phöbus.
»Oder er hat einen Trank für uns«, lachte Kurd. Harda sah ihn verärgert an.
»Ja«, sagte dieser und senkte den Kopf.
»Vielleicht weiß Kolbert ja wirklich mehr?«, sagte Phöbus.
»Lasst uns es versuchen«, stimmte Lucia zu.
»Na gut«, antwortete Harda.
Sie liefen zu Kolbert, dessen Geschäft nicht weit weg war. Es war bereits geschlossen, im Laden brannte gedämpftes Licht. Phöbus klopfte laut an die Tür und rief.
»Scheint keiner da zu sein«, sagte Harda. »War ja klar.«
Da kam auch schon der Kräuterhändler angerannt. Er trug seinen weißen Kittel, der farblich hervorragend zu dem Haarkranz auf dem Kopf passte.
›Ob er den Kittel jemals auszieht?‹, fragte sich Phöbus.
Es klickte und knackte, dann öffnete sich quietschend die Tür. »Jaja, was ist denn? Was wollt ihr denn hier?«, fragte er, sobald er die Kinder sah.
»Du hast nicht zufällig einen kleinen Zwerg gesehen?«, fragte Phöbus.
Kolbert grinste ihn an. »Zwerge sind für gewöhnlich immer klein«, scherzte er. »Kommt rein.«
»Was ist?«, rief Kolberts Frau aus den hinteren Räumen.
»Die Waisenkinder und Phöbus sind es. Suchen einen kleinen Zwerg.« Er lachte, so bald er wieder kleiner Zwerg sagte.
Seine Frau Magda kam hinter dem dicken braunen Vorhang hervor, der das Geschäft vom Wohnraum trennte. Sie hatte einen bunten Kittel an, der am Bauch braun und grün gefärbt war. Vielleicht von den Kräutern und Wurzeln, die sie mit Kolbert zerrieb und zerstieß.
»Ihr sucht einen Freund von euch?«, fragte sie.
Harda nickte. »Ja, Tewen. Er ist seit heute Morgen verschwunden. Wir haben die ganze Stadt abgesucht, können ihn nirgends finden. Wir dachten, ihr hättet vielleicht was gehört.«
Kolbert und seine Frau sahen sich an, beide schüttelten die Köpfe. »Nein, von einem geflohenen kleinen Zwerg hat hier keiner etwas erzählt.«
»Er ist knapp 2 Fuß hoch, trägt eine braune Latzhose und einen grünen Pulli. Vielleicht hört ihr ja was«, sagte Harda. »Wir werden ihn weiter suchen gehen.«
»Aber Kind, es ist schon spät und draußen ist es dunkel. Ihr solltet euch alle nach Hause machen«, ermahnte Magda die Kinder.
»Ich kann ihn nicht allein lassen«, klagte Harda. »Ich muss ihn finden.« Sie stieß ein Schluchzen aus.
»Was ist denn passiert?«, fragte Kolbert.
»Er hat ins Bett gemacht und ich war wütend. Habe ihn ausgeschimpft, da muss er weggelaufen sein.«
»Glaubst du, dass er noch in der Stadt ist? Er kann sonst wo sein.«
Harda nickte. »Das weiß ich auch, aber er wird nicht allein zurechtkommen. Was wenn ihn jemand überfällt oder ein Tier ihn frisst?«
Kolbert schüttelte mit dem Kopf. »So weit wird es bestimmt nicht kommen.« Er lächelte Harda an.
»Kommt her, ich mache euch einen Tee. Dann solltet ihr nach Hause gehen.« Mit einer Geste bat Magda die Kinder in die Küche, die hinter dem Ladenraum war.
Harda schüttelte den Kopf. »Wir können keinen Tee trinken, wir müssen Tewen finden.« Sie stampfte mit dem Fuß auf den Boden.
»Gewiss doch«, antwortete die Frau. »Aber heute nicht mehr! Es ist zu …«
Kolbert stellte sich vor seine Frau und sah Harda an. »Ich glaube, ich habe da was für euch«, sagte er.
»Aber sie kann doch nicht …«, Magda sah ihren Mann ängstlich an. Dieser schüttelte den Kopf. »Sie wird nicht aufgeben, ihn zu suchen. Ob mit deinem Tee oder ohne.« Er lächelte sie an. »Das Mädchen ist wie eine Glucke, darauf bedacht, dass all ihre Schiepchen wohl besonnenen nach Sonnenuntergang zu Hause, in ihrem Nest sind.«
Er verschwand hinter dem Vorhang in seinem Laden. Sie hörten, wie er Schubladen herauszog und Glas dumpf aneinander klirrte.
»Wo hab ich es denn?«, fragte er. Die Kinder folgten ihm und sahen, dass Kolbert an einem seiner Apothekerschränke stand und die einzelnen Fächer herausgezogen hatte.
»Ah, hier habe ich es.«
Er drehte sich um und hatte einen Flakon mit rundem Bauch in der Hand. Die Flüssigkeit war rosa. Es sah aus, als schwebte diese dort drin.
Kolbert erhob seinen Finger. Mit dem Monokel in seinem rechten Auge erinnerte er Phöbus an einen seiner Lehrer. Seinen Kopf hatte er gehoben. »Vielleicht hilft euch das hier. Suchpulver.«
Die Kinder bestaunten das Fläschchen. »Das hier ist kein Spielzeug, es ist teuer. Die Flasche hier kostet 800 Batzen. Die Zutaten sind nur sehr schwer zu finden.«
»Aber wir haben keine 800 Batzen«, winselte Harda, den traurigen Blick zu Boden gerichtet. Er schaute zu Phöbus, zwinkerte mit dem linken Auge und lächelte. »Ich mach das mit Vartan aus. Brauch bestimmt mal wieder was von der Zunft. Damit könnt ihr es dann begleichen.« Die Kinder griffen nach der Ampulle. Er zog die Hand zurück, schüttelte den Kopf und wedelte mit dem Zeigefinger. »Geht damit behutsam um. Es schwebt in der Flasche. Öffnet sie vorsichtig, sonst fliegt alles raus. Außerdem wisst ihr doch noch gar nicht, wie ihr es anwenden müsst. Ihr braucht etwas, das nach dem Fremden riecht. Am besten ein Kleidungsstück, dass er länger getragen hat und nicht gewaschen ist. Haltet es direkt an eure Nase und atmet den Geruch tief ein. Dann haltet dieses Fläschchen an eure Nase und saugt ein wenig daran – nicht viel, habt ihr verstanden?« Mit dem kleinen Finger klopfte er an die Flasche. »Nur ein wenig hiervon müsst ihr einatmen. Nach einer Weile seht ihr eine farbige Wolke um das Kleidungsstück schweben. Sie kann grün sein, sie kann rot sein. Sie kann aber auch gelb oder blau sein. Ich habe gehört, jeder sieht eine andere Farbe. Dann macht euch auf die Fährte. Irgendwo werdet ihr die Spur in derselben Farbe auf dem Boden kriechen sehen. Dieser müsst ihr folgen, wenn ihr euren Freund finden wollt.«
Die Kinder versuchten erneut, nach der Flasche zu greifen. Kolbert holte ein weiteres Mal tief Luft. »Die Wirkung lässt nach ungefähr einer halben Stunde nach. Ihr müsst dann wieder am Kleidungsstück riechen, bevor ihr an der Ampulle schnüffelt. Atmet ihr zu viel davon ein, wird alle Welt um euch herum in einem farbigen Nebel eingehüllt und ihr wisst nicht einmal mehr, wo ihr seid. Es wurde früher auch dazu verwendet, um Leute zu verwirren. Andere nahmen es, um sich damit zu berauschen. Ein teures und seltsames Vergnügen, einige sind davon verrückt geworden, so heißt es.«
Er gab Phöbus das Fläschchen. »Ich möchte es dir überreichen, junger Rabenstein. Du solltest es richtig anwenden können.« Er zwinkerte ihm zu.
»Meinst du, es ist richtig, die Kinder jetzt noch loszuschicken?«, fragte seine Frau.
»Was willst du tun? Sie hier festhalten? Es sind Waisenkinder, sie sind ohne Eltern aufgewachsen und haben so mancher Gefahr da draußen getrotzt. Lass sie gehen. Sie machen sowieso, was sie wollen.«
»Ist ja gut, ich sorge mich nur um sie«, sagte sie.
»Das tue ich auch meine Liebe. Das tue ich seit dem Tag, als ich sie vor über einem Jahr zum ersten Mal besucht habe. Aber seit diesem Tag weiß ich auch, dass sie so schnell nichts umhauen kann. Sie sind robust.«
Kolbert brachte die Kinder zur Ladentür und schloss diese wieder auf. Alle sahen ihn an und verbeugten sich. »Vielen Dank für deine Hilfe«, sagte Harda. Kolberts Gesicht rötete sich. Phöbus glaubte sogar, auf seiner Glatze eine rötliche Färbung zu erkennen.
»Seid vorsichtig und denkt daran, was ich euch gesagt habe. Viel Erfolg. Lasst mich wissen, wenn ihr euren Freund gefunden habt.«
Er winkte den Kindern zu und lächelte, dann verschwand er im Haus. Die Tür klackte zwei Mal und sie war wieder verschlossen.
Phöbus nahm das seltsame Fläschchen und steckte diese in seine Brusttasche. Die anderen schauten ihn neugierig an.
»Wir müssen ins Waisenhaus gehen und etwas von Tewen finden«, sagte Harda.
»Seine eingepullerte Bettwäsche wäre jetzt genau das Richtige«, lachte Kurd. Phöbus wurde flau im Magen. Kurd haute ihn auf den Rücken. »Da musst du jetzt durch.«
Phöbus atmete schwer auf.
Im Waisenhaus kam Egon sofort angerannt und wollte wissen, ob sie Tewen gefunden hatten. Alle schüttelten die Köpfe und erzählten, was passiert ist. Harda lief zuerst mit Phöbus in die Waschküche. Alle Sachen von Tewen waren gewaschen oder in Seifenwasser eingeweicht. Dann gingen sie in den Schlafsaal. Die Kinder lagen in ihren Betten. Crispin blickte auf. »Ihr seid wieder zurück«, rief er durch den Raum, dass es schallte.
»Pscht«, sagte Harda. »Wir müssen noch mal los«, flüsterte sie. Vor Tewens Bett standen Schuhe. Sie zeigte darauf. »Die können wir nehmen.«
Phöbus nickte. Sie nahmen die Schuhe und liefen nach draußen.
»Was wollt ihr damit«, rief Egon hinterher, doch die Tür hinter ihnen fiel ins Schloss.
»… und jetzt?«, fragte Lucia.
Harda hielt Phöbus die Schuhe vors Gesicht. »Dein Auftritt«, sagte sie und lächelte. Lucia sah ihn mitfühlend an. Kurd haute Phöbus vor die Schulter. »Das schaffst du schon Großer«, grinste er. Er war einen halben Kopf kleiner als Phöbus. Dieser quetschte ein Lächeln aus sich heraus.
Phöbus holte tief Luft, nahm die Schuhe in die Hand und schloss die Augen. Er hielt sie sich unter die Nase. Der Geruch eines süßen, beißenden Geruchs gemischt mit abgehangenem Käse zog ihm in die Nase. Ihm wurde übel, er würgte. Die Augen kniff er sich noch toller zu und schnüffelte tief und lange. Dann nahm er den Schuh weg, hielt sich den Flakon unter die Nase und öffnete den Pfropfen. Es roch nach Essig, gemischt mit Schweiß. Phöbus kniff sich wieder die Augen zu und sog kurz ein wenig ein, bevor er das Fläschchen schnell wieder verschloss.
»… und?«, fragte Kurd. Alle sahen Phöbus mit großen runden Augen an. Er schaute den Weg entlang in die Dunkelheit, dann zur Tür des Waisenhauses und zuckte mit der Schulter. »Nichts«, sagte er.
»Du musst noch einen Moment warten. Dauert bestimmt etwas, bis es wirkt«, sagte Harda.
Phöbus nickte.
»Wir können ja ein Stück weit gehen«, schlug Lucia vor. Phöbus schüttelte den Kopf. »Lasst uns hierbleiben. Wenn er aus dem Waisenhaus gelaufen ist, können wir von hier an seine Spur verfolgen.«
Plötzlich sah er, wie eine kleine grüne Wolke aus den Schuhen kroch und um Hardas Hand schwebte. Dann schaute er auf den Weg. Schwache grüne Rauchschwaden überzogen diesen, wie Nebel in einem Moorgebiet.
»Was ist?«, fragte Kurd.
Phöbus nickte. »Kommt mit!«, befahl er den Kindern.
In der Dunkelheit sah Phöbus die Spur aufleuchten. Er und die Kinder folgten ihr. Sie liefen an den alten Häusern vorbei, deren Putz wie Wunden klaffte, die Fenster waren mit Brettern zugenagelt. Katzen jammerten in der Ferne ein Lied, ein Köter stimmte kläffend ein.
»Ich glaube, ich weiß, wo er ist«, sagte Harda. Vor ihnen tat sich eine Wand auf, aus der die dicke Öffnung des Rohres aus Backsteinen herauslugte. Diese hatten sich von den Flüssigkeiten, die durch den Kanal flossen, gelb gefärbt. Der grüne Nebel verschwand dort drin.
»Er ist in der Kanalisation!«, sagte Phöbus. Es war knapp ein Jahr her, als er hier die Waisenkinder täglich besuchte.
Harda entzündete eine Fackel, dann liefen sie hinein. Der Geruch nach Scheiße, Pisse, Schweiß und Waschwasser weckte in Phöbus alte Erinnerungen. Er fragte sich, wie er das früher ausgehalten hatte. Harda und Lucia hielten sich die Nasen zu. Wasser plätscherte langsam in dem Rinnsal neben ihnen, entlang.
»Boar, stinkt das«, sagte das Mädchen mit den roten Zöpfen.
»Wie habt ihr es hier nur ausgehalten?«, fragte Phöbus, während er weiter der Spur folgte.
Sie drangen tiefer ein, die Fährte schien zu dem Ort zu führen, an dem die Kinder einst lebten. Aus dem Gang flackerte Licht heraus. Kurd wollte hineinstürmen, Harda und Phöbus hielten ihn zurück.
»Mach die Fackel aus«, flüsterte Phöbus.
Harda löschte die Flamme. Durch den Gang schallten tiefe dunkle Stimmen. Die Kinder schlichen hinein.
An der Feuerstelle, an der Egon immer Wasser für Tee aufbrühte oder das Essen zubereitete, saßen drei Gestalten. Sie hatten graues, strähniges Haar. Ihre Gesichter waren braun vom Dreck. In der Ecke dahinter sahen Sie Tewen, dessen Arme und Beine gefesselt waren. In seinem Mund steckte ein dreckiger Lappen. Er knurrte vor sich her.
»Halt dein Maul!«, sagte eine der Gestalten. »Sonst schlitzen wir dich auf!« Das Haar ging ihr über die Schultern. Die Zähne waren schwarz und verfault.
»Was machen wir mit ihm, Barbara?«, fragte einer der Männer. Sie zuckte mit den Schultern. »Ich weiß nicht. Geld bringt der keins. Der Zwerg ist nicht mal fett. An dem ist nichts dran.«
»Wir können ihn ja fressen«, sagte ein anderer. Tewen begann in seiner Ecke zu knurren.
»Lass mal Gerd«, antwortete Barbara. »Ich werde wegen nen Zwerg nicht zum Kannibalen.«
»Durchfüttern können wir ihn auch nicht. Der frisst bestimmt zwei Ziegen am Tag, um fett zu werden«, sagte der andere.
»Wenn wir ihn nicht verkaufen können, schmeißen wir ihn in die Yise. Sollen den die Krokodile fressen!«
Barbara fasste sich an den Kopf. »Hier gibt es keine Krokodile, Herb. Ihr seid doch wirklich doof wie Xaluthkraut. Solltet weniger davon rauchen.«
»Hier wird überhaupt keiner den Krokodilen zum Fraß vorgeworfen«, ertönte hinter Phöbus Vartans Stimme. Er sprang mit seinem Schwert in der Hand nach vorn. Die Fremden erstarrten.
»Verschwindet von hier und lasst den Zwerg gehen, ansonsten schlitze ich euch die Bäuche auf!«
Kreischend und schreiend rannten die drei aus der Kanalisation.
Phöbus wurde warm ums Herz, als er Vartans Stimme hörte, die wie eine Melodie in seinen Ohren klang.
»Was machst du denn hier?«, fragte er.
»Ich bin nach Hause gekommen und du warst nicht da. Da bin ich ins Waisenhaus. Egon hatte gesagt, was passiert ist.« Vartan sah zu Tewen. »Ich konnte mir denken, dass er hier ist. Hatte ihm erzählt, wie wir früher hier lebten. Er wollte es unbedingt mal sehen.«
Harda holte tief Luft.
»Du wusstest das?«, fragte Phöbus.
»Ich habe nicht dran gedacht.« Sie schüttelte den Kopf. »Als wir vor dem Eingang standen, ist es mir wieder eingefallen. Entschuldigung.«
Sie befreiten Tewen aus seinen Fesseln. Vartan setzte sich an den großen schweren Holztisch. Dieser war noch genauso robust, wie vor einem Jahr, als ziehe die Feuchtigkeit hier unten einfach so an ihm vorbei.
Vartan sah durch den Raum. Die anderen setzten sich zu ihm. Tewen nahm er auf den Schoß. »Dort haben wir immer Tee aufgebrüht oder Egon hat Essen gekocht. Da hinten«, Vartan zeigte auf eine alte Tür aus Brettern. »Da haben wir unser Essen gelagert.« Dann zeigte er auf ein Brett hinter der Feuerstelle. »Und da …«
Harda drehte sich um. Sie grinste. »Das war unser Lagerraum. Da haben wir alles aufgehoben, was wir auf der Straße gefunden haben.« Sie zwinkerte Vartan zu.
»Ist da noch was drin?«, fragte der Kleine mit großen runden Augen.
Vartan hob ihn hoch und stellte ihn neben sich. Dann stand er auf. »Lass uns doch mal gucken.« Der Zwerg griff nach seiner Hand.
Phöbus und Kurd folgten ihnen. Vartan hatte Mühe, die Tür zu öffnen. Mit einem Ruck gab das Schloss nach, die Bretter ratterten auf dem Boden. Sie sahen hinein. Vartan entzündete Hardas Fackel und hielt sie in den Raum. An der Seite stand immer noch der alte runde Tisch, dessen Fuß in der Mitte aufwendig gedrechselt war. Die Platte war von Würmern durchlöchert. Auch das klapprige Regal stand noch immer an der Wand gegenüber. Alles war leer.
Phöbus sah etwas Glitzerndes auf dem Boden, vor dem Regal liegen. Er kniete sich herunter, dort funkelte eine goldene Kette vor sich hin. Er nahm sie auf und zog sie mehrmals durch die Hand. Sie schien aus Gold zu sein. Er sah Vartan an. »Ist die noch von dir?«
Vartan zuckte mit den Schultern. »Keine Ahnung.«
Phöbus steckte sie ein.
Sie gingen aus dem kleinen Raum, Vartan schloss die Tür, das Brett knatterte am Boden. Dann liefen sie aus der Kanalisation heraus. Draußen holten alle frische Luft. »Kann mich nicht erinnern, dass es dort so gestunken hat«, bemerkte Vartan.
»Ich glaube, wir hatten uns dran gewöhnt und es gar nicht mehr gemerkt. Jetzt weiß ich, wieso meine Mutter nicht wollte, dass ich in die Kanalisation gehe«, sagte Phöbus.
Die sechs gingen die Straße entlang. Harda trug Tewen auf dem Arm, er schnarchte leise vor sich her.
An einer Kreuzung blieben sie stehen und verabschiedeten sich.
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