Lichtewege

Vereinte Schritte by Karina Funch
Vereinte Schritte by Karina Funch

Heinz saß endlich auf der Bank und schaute über die Weinterassen von Kassel. Er seufzte. Er betrachtete den Schoppen in dem diese helle, grünlich gefärbte klare Flüssigkeit hin und her schwappte, in dem er das Glas schwenkte. Dabei bildeten sich kleine Perlen. Dann nahm er einen Schluck. Der Hauch von Johannesbeeren machte sich in seinem Mund breit. Fruchtig-feinherb im Abgang. Ein edler Tropfen. Endlich hatte er diesen schrecklichen Tag hinter sich. Er sollte bei der Frau von Schockenland-Ebersdorf das Klavier stimmen. Diese lehnte es aber unmissverständlich ab. Er war ja schließlich taub und wie kann man so ein Klavier stimmen. Das nervte ihn, wenn er sich mit Händen und Füßen winden musste, um den Menschen zu erklären, dass er es trotzdem gut kann. Er ist sogar einer der besten in diesem Fach.

Und dann, und dann war da noch der unfreundliche junge Mann, der ihm 9 Euro abnehmen wollte. Es sind ja schließlich Lichtewege und das kostet Geld, las er von dessen Lippen ab. Er holte seinen Ausweis heraus, da waren es nur noch 4 Euro. 4 Euro, um hier zu sein. An seinem Lieblingsort. Er mochte die Lichtewege, aber er mochte sie auch nicht. Er musste immer Eintritt bezahlen, wenn er hier sein wollte. Doch dies hat er alles hinter sich gelassen und genoss nun die Ruhe und den Schluck Wein. So saß er auf der Bank, hielt den Kopf in die Luft, um alles von sich abfallen zu lassen. Er spürte den lauen Wind auf seinen Wangen.

Plötzlich war da etwas Flauschiges an seinem Arm. Er sah herunter. Ein Miau entwich dem Maul der Katze. Heinz sah, wie sich an Ihrem Maul die Luft bewegte. Es war die schwarze Katze, die ihm hier schon öfter beregnete. Er nannte sie Minka. Wusste aber gar nicht so recht, ob sie wirklich so hieß.

„Na, hast du dich wieder herausgeschlichen?“, sprach er zu ihr und lächelte sie an. Sie entgegnete ihm mit einem Miau. Er wollte auch eigentlich nur bei dem Glas Wein von den Strapazen des Tages erholen. Er wollte sich langweilen. Doch Minka sprang von der Bank und lief zur Treppe, die nach unten führte. Sie drehte sich um. Miau.

Jaja, ich komme schon. Dachte er sich. Dann hieb er sich auf und folgte der Katze die Treppe hinunter. Da sah er diese große Lampe. HIDDEN REALITY stand drauf. Kinder spielten unter ihr. Er sah, wie sich die Lichtperlen entsprechend der Bewegung verteilten. Minka sah ihn an. „Miau“. Er glaubte, dass sie ihm sagen wollte, Langeweile, mein Freund? Ohne mich.

Erst schaute Heinz den Leuten zu. Er lachte, wie sie tanzten und sich die tausend Lichtperlen entsprechend verteilten. Eine Frau wies ihm mit der Hand zu der Lampe. Er schüttelte den Kopf und winkte ab. Aber auch Minka miaute. Er solle es tun und er tat es. Er tanzte unter der Lampe, er liebte es, wie die Perlen sich bewegten und auf das reagierten, was er tat. Auch die Frau sprang mit ein und sie hatten gemeinsam Spaß.

So tanzten sie noch eine ganze Weile lang. Dann sprang Minka auf ihren Arm. „Brav“, sprach sie zu der Katze. „Sie haut immer ab. Heute habe ich sie verfolgt“, konnte er an ihren Lippen lesen. „Jetzt weiß, warum sie immer herkommt.“ Die Frau lächelte ihn an, dann drehte sie ihm den Rücken zu und ging. Minka schaute ihn vom Arm aus an. Miau.

HIDDEN REALITY by Marc Judor
HIDDEN REALITY by Marc Judor

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