Tag 2: Feuergestalt

46 vom Blattfall IV-1407

Im Traum hörte ich immer noch die Schreie der Leute aus meinem Stamm. Sie waren schrecklich und betäubend. Wie Würmer haben sie sich festgebissen.

Es wippte, ich spürte Papas Arme um meinen Hintern. Ich öffnete die Augen und sah, wie die Bäume vor mir flohen. Dazwischen schien die Sonne. Mama folgte uns. Sie trug Asiel. Dann schaute ich Papa an. »Komm«, flüsterte er. »Kannst du laufen?«
Ich nickte.
Er nahm mich herunter.
Mama stand neben uns. Sie drehte ihren Kopf zu allen Seiten, die Stirn war gerunzelt, mit ihren Füßen trampelte sie auf dem Boden hin und her. »Lasst uns von hier verschwinden«, sagte sie.
Asiel war still. Ich hoffte, dass er schlief. Es war doof, dass er das miterlebte. Er war doch noch so jung und unschuldig. Wir mussten es hier raus schaffen.
»Sie sind noch hinter uns«, sagte Papa.
Ich drehte mich um, ein flaues Gefühl tat sich in meinem Bauch auf. Was, wenn einer von ihnen aus dem Gebüsch springt?
Wir rannten weiter durch den Wald. Der kalte Wind kroch unter meine Sachen und peitschte mir ins Gesicht.

Die Kronen der Bäume wurden lichter. Die weiße Wolkenschicht verdeckte die Sonne. Papa und Mama japsten laut. Maumau hatte auch noch Asiel auf dem Arm, dachte ich.
Meine Kehle war trocken, mein Magen zog sich zusammen. Hunger stieg in mir auf, dadurch bekam ich Bauchweh.
»Wir müssen es bis zur Grenze schaffen, dann wird alles gut. Haltet durch, auch, wenn wir wahrscheinlich noch drei Tage unterwegs sein werden.«
Das Herz rutschte mir in die Hose, als Papa das sagte. Ich hoffte, dass wir bis dorthin kommen und sie uns nicht zu fassen kriegen. Er rannte weiter durch das Laub, über Äste und Stämme, vorbei an Farnen, Büschen und Gräsern. An ein paar Stellen standen Pilze. Selbst bei ihnen lief mir das Wasser im Mund zusammen.
Nach einer Weile kroch der Geruch von verbranntem Holz in die Nase. Wir blieben stehen. Rauchsäulen stiegen vor uns auf. Da hörte ich Schreie, komisches Knacken und das Bellen der Wölfe.
»Wir sind zu nah an einem Dorf«, schimpfte Papa. Mit gerunzelter Stirn sah er sich um.
Zwischen den Bäumen und Bauten trieben die Wölfe die Leute in die Enge. Sie knurrten und bellten sie an. Die Volpuren schrien um Hilfe. Es roch wie, wenn Mama oder Papa Fleisch braten.
Eine leuchtend gelbe Gestalt rannte an uns vorbei. Sie war von Flammen umringt. Sie schrie so laut, dass ich mir die Ohren zuhalten musste. Es knackte und zischte. Mein ganzes Fell stand zu Berge und kribbelte überall.
Sie fiel zu Boden. Das Laub drumherum wurde aufgewühlt und verbrannte.
Ich sah zum Dorf. Sie trieben die Leute dort zusammen, so, wenn wir Hühner und Gänse schlachten wollten.
Doch dann stand einer von denen vor uns. Mein Herz hörte kurz auf zu schlagen »Ihr entkommt uns nicht!« Die Stimme des Viehs dröhnte in den Ohren. Sie war tief, dabei fletschte es mit den Zähnen. Speichel troff herunter. Im Flackern der Flammen sah ich die großen schwarzen Augen, dunkel, wie die Nacht, als würde keine Seele in ihnen innewohnen. Nicht mal das Feuer spiegelte sich darin.
Ich dachte, dass es jetzt vorbei ist. Mama und Papa sahen nervös zu allen Seiten, langsam liefen wir rückwärts, ihre Pfoten hielten sie hinter ihren Rücken. Asiel fing an zu weinen.
Ich schaute tief in die Augen des Wolfes und fragte mich, ist es schlimm, wenn es jetzt vorbei ist? Bei dem Gedanken fühlte ich mich leichter. Ich hätte dann keinen Durst und Hunger mehr. Ich müsste nicht mehr rennen. Nicht mehr weglaufen. Die Füße würden mir nicht mehr wehtun und ich wäre bei Onkel Owe und würde ihn auch nicht mehr vermissen.
Ich sah zu Papa. Er schaute mich aus den Augenwinkeln an. Seine Stirn war gerunzelt, die Ohren angelegt. In seiner Schnauze erkannte ich ein Lächeln. Dann zwinkerte er kurz zu mir.
Wir fingen an zu rennen.
Hinter uns hörte ich Wölfe kläffen und Äste knacken. Sie verfolgten uns.
Wir rannten, so schnell wir konnten. Asiel weinte. Mama drückte ihn fest an ihre Brust.
Ein komischer Geschmack bildete sich im Maul, die Knie begannen weh zu tun, ich bekam Seitenstechen. Ich schrie zu meinen rodi, musste stehen bleiben. Mir wurde übel. Während ich schwer atmete und mir in die Seite fasste, merkte ich Stille.
»Sie …, sie sind weg«, hechelte Papa, der sich umschaute. Niemand war zu sehen oder zu hören – außer Mama und Papa, die laut hechelte. Mama nahm Asiel herunter. Er begann zu weinen und lief mit ausgestreckten Armen zu ihr. »Maumau«, sagte er. Sie schüttelte aber den Kopf.
Ich erschreckte, als über mir ein Sperber aufschrie und weg flog. Wir hatten sein Revier gestört.
Langsam und vorsichtig gingen wir weiter.
Ich hörte es Plätschern. Vor uns krochen Nebelschwaden aus einer Senke, die sich auftat. Ein Bach bannte sich darin seinen Weg.
Wir liefen hin. Ich hielt die Schnauze in das eiskalte Nass. Sie zog sich zusammen. Trotzdem trank ich so viel, ich konnte. Der Knoten im Hals löste sich. Ich spürte, wie das Wasser meinen Bauch füllte.
»Wir können hier rasten«, sagte Mama.
Papa schüttelte den Kopf. »Wir müssen auf der Hut sein, sie können überall da draußen sein.« Mit der Hand zeigte er in den Wald.
Während Asiel wimmerte, setzte sich Mama ins Gras. Beim Herunterknien kniff sie die Augen zu. Im Sitzen beugte sie sich vor und wieder nach hinten und stöhnte. Ihre Füße streckte sie vor sich aus. Dann rief sie Asiel zu sich.
Ich setzte mich neben sie. Meine Fersen schmerzten. Ich zog die Schuhe aus. Meine Füße pochten, wie ich sie in das Gras legte.
Papa trampelte hin und her. »Wir müssen weiter!«
Mama schüttelte den Kopf. »Schau uns an. Alles tut uns weh. Wir haben Hunger. Asiel und Ozeana müssen was essen. Uns wird hier nichts passieren. Lass uns wenigstens eine Stunde hier rasten.« Sie sah ihn mit zusammengezogener Schnauze und gerunzelter Stirn an.
Papa holte tief Luft. Er schaute sich noch mal um. Dann setzte er sich neben uns und seufzte laut.
Die Vögel zwitscherten ein Lied, der Wind über meine Wange strich. Langsam wurde es dämmrig.
»Wir können ein Feuer machen«, schlug Mama vor, doch Papa schüttelte den Kopf. »Ein Feuer könnte sie anlocken. Es ist schon so nicht sicher genug.«
Mir war kalt, ich kuschelte mich an Maumau ran. Asiel schaute zu mir. Er strich mir mit seiner Pfote über die Wange. »… zeana«, sagte er und lächelte. Ich lächelte zurück.

Papa zog los und suchte nach etwas zu essen. Er fand ein paar Pilze, Beeren, Würmer und Käfer. Ich mag sie nicht, ekel mich davor, wenn sie sich auf meinen Teller noch winden oder mit ihren Füßen auf der Zunge kleben bleiben. Zu Hause gab es die manchmal auch. Mama sagte immer, sie sind eine Delikatesse. Sie waren knusprig. Die esse ich schon mal gern. Trotzdem hätte ich viel lieber einen Hasen oder was anderes gehabt. Aber für den Hunger, den ich hatte, war es in Ordnung. Die Pilze aßen Mama und Papa. Mein Bauch fühlte sich nicht mehr so leer an.
Wir schlugen hier unser Nachtlager auf.
Ich begreife nicht, was da passiert ist. Warum mussten wir fliehen? Warum wird auf uns Jagd gemacht und alle getötet. Ich weiß, dass sie Volpa nicht mögen, doch warum nicht? Warum hassen sie uns? Was haben wir ihnen getan? Ich kenne sie nicht und sie mich nicht. Und doch jagen sie uns. Wir lebten in Frieden, haben nichts verbrochen. Ich verstehe es nicht. Ich glaube Mama und Papa auch nicht. Ich wollte sie heute nicht damit quälen.


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