
53 vom Blattfall IV-1407
Ich konnte vorletzte Nacht nicht schlafen, konnte nicht aufhören, an diesen Mann im Käfig zu denken. Es ist grausam, dass er dort gefangen wurde.
Nachdem ich mich im Bett hin und her wälzte, setzte ich mich auf. Es war dunkel, durch das Fenster schien das kalte Mondlicht von Mes Lid herein. Asiel atmete leise neben mir.
Dann stand ich auf, schlich mich zum Stuhl, über den ich mein Kleid gehangen hatte, und zog es an. Asiel holte tief Luft. Hatte er mich gehört? Wie versteinert blieb ich stehen. Er atmete leise weiter. Auf Zehenspitzen ging ich aus dem Raum, langsam die Treppe hinab, zur Haustür. Ich drehte mich noch mal um. Aus dem Zimmer, in dem Kelm und Sadab schliefen, hörte ich ein Schnarchen.
Ich drehte vorsichtig den Schlüssel herum, dann öffnete ich die Tür. Ich rannte hinaus, den Weg entlang. Es war kalt, ich fror in meinem Kleid.
Tat ich das Richtige?
Langsam lief ich den Weg im Dunkeln entlang. Die Bäume, deren Kronen in der Dunkelheit verschwanden, sahen zu mir herab und beobachteten mich. Sie beugten sich zu mir herunter, dabei knarzten ihre Äste. Ich zitterte, mein Bauch zog sich zusammen. Die Stille wurde durch ein Huhhuhuhu, Huhhuhuhu gestört. Das Geräusch der Eule klang wie: Geh wieder nach Hause Kind.
Ich zuckte zusammen, sah zu den Bäumen hinauf. Dort blitzte etwas zwischen den Ästen. Dann rannte ich, so schnell ich konnte, in die Stadt.
Die Straßen waren leer gefegt. Aus wenigen Fenstern schien Licht heraus, das sich auf dem feuchten Kopfsteinpflaster wieder spiegelte. Ich rutschte weg, konnte mich aber halten. So lief ich zum Markt.
Von Weitem konnte ich den Käfig mit seinen Eisenstäben erkennen. Ich schlich hin, sah mich um. Niemand war zu sehen, ich atmete auf.
Aus dem Wagen kam ein Schnarchen. Ich sah durch die Gitterstäbe, konnte nur erkennen, dass der Volpur zusammengekauert in der Ecke lag.
Dann ging ich um den Wagen herum. Da war eine Tür, ich versuchte, sie zu öffnen, doch sie war mit einem Schloss verriegelt. Mist! Wie konnte ich ihn befreien?
Ich nahm einen Stock und hielt ihn zwischen die Gitter, dann drückte ich fest dagegen. Mit einem lauten Knacken zerbrach dieser. Ich stand wie versteinert da, hoffentlich hat das keiner gehört.
»He kleine«, rief es. Ich zuckte zusammen, ein kalter Schauer lief mir den Rücken herunter. Dann pfiff es leise. Der Volpur hatte sich aufgerichtet, seine Augen funkelten mich an.
»Was hast du vor?«, fragte er. Ich zuckte mit den Schultern. »Weiß nicht, dir helfen?«
Er hielt seine Arme mit den Fesseln nach vorn. »Wird schwer«, sagte er, er klang verzweifelt. Ich musste ihm helfen. Doch wie? Wo es ein Schloss gibt, muss es auch Schlüssel geben. Nur, wo ist der?
Ich lief um den Käfig, fasste mit der Tatze drunter, konnte aber nichts finden. »Weißt du, wo der Schlüssel ist?«
Der Fremde zuckte mit den Schultern und schnaubte.
Er sah hinter sich. »Ich glaube, da steht ein anderer Wagen hinter einem der Bäume. Da wohnt der drin«.
Ich sah in die Richtung, im Dunkeln konnte ich auf einer Wiese einen Wagen erkennen. Ich schlich mich hin. Das Fenster war geöffnet, jemand schnarchte. Ich holte tief Luft. Sollte ich das wirklich machen?
Aber mir blieb nichts anderes übrig. Ich ging zur anderen Seite, stieg die kleine Treppe hinauf, drückte die Klinke langsam herunter. Die Tür öffnete sich. Vor mir stand das Bett, in dem dieser widerliche Kerl schlief. Ich sah seinen fetten nackten Körper unter der Decke hervorschauen. Es war so eklig. Ich finde die Menschen eklig. Sie sind nackt und haben überall nur ein paar Haare. Das sieht so widerlich aus.
Ich sah mich um. An einem Brett hing ein Schlüsselbund. Ich griff sofort danach und schlich mich hinaus.
Schnell steckte ich einen Schlüssel nach dem anderen ins Loch. Beim Dritten klackte das Schloss auf. Ich war im Wagen.
»Los, beeil dich!«, hetzte mich der Fuchs. Mein Herz schlug ganz schnell. Ich griff nach den Schlüsseln. Seine Fesseln konnte ich lösen. Mir wurde heiß.
Hinter mir dröhnte eine tiefe Stimme, ich zuckte zusammen. »Was ist hier los? Noch so ein edles Exemplar für meine Sammlung.« Der Raum wurde heller. Dumpfe Schritte kamen näher, kalte raue Hände packten mich im Genick.
»Hast wohl jemanden gefunden, der dich retten will?« Dazu grinste er den Volpur an.
Was wird er jetzt mit mir anstellen?
Seine Laterne stellte er auf den Boden. Dann kettete er mich in der anderen Ecke an. Erst verschloss er meine Armfesseln, dann die Beine. Hämisch grinste er mich an. »So, du kannst nun nicht mehr weglaufen. Was ich doch hier für ein junges, schönes Exemplar habe. Da werden mir die Menschen noch mehr Geld dafür zahlen.«
Er ging aus dem Wagen. Ich verabscheute und verfluchte ihn.
»Wärst lieber zu Hause geblieben«, sagte der Fuchs zu mir. Ich nickte und hob meine Arme. Ich sah meine Fesseln an. Das habe ich jetzt davon, dass ich abgehauen bin und helfen wollte. Wäre ich nur bei Maja geblieben …
Maja. »Meine Eltern werden uns schon hier rausholen«, sagte ich zu ihm. Werden sie es wirklich? Werden sie mich finden?
Er nickte. »Ihr seid auch geflüchtet?«
»Ja, wir wollen nach Westen. Haben hier einen Unterschlupf gefunden. Mein Papa ist verletzt und muss sich auskurieren. Was ist mit dir?«
»Sie haben mein Dorf überfallen. Ich konnte mich unter einer Plane verstecken, habe gehört, wie meine Frau und unser Kind geschrien haben. Ich war so feige …« Er schluchzte. Seine Tränen blitzten in der Morgendämmerung. »Ich habe meine Familie im Stich gelassen, nur, weil ich mich retten wollte. Vielleicht ist das hier die Strafe dafür. Vielleicht habe ich deswegen nichts Besseres verdient, als in diesem Stall, an Ketten zu liegen und zur Schau gestellt zu werden. Du hättest mich nicht retten sollen. Hättest mich hier verrotten lassen. Jetzt hat er dich auch gefangen.«
Am Morgen kam der Fette an den Käfig. »Na, Ihr werdet doch beide nicht an Mitleid verrecken.« Er lachte laut. Ich wünschte, er würde in Flammen aufgehen. Er lief an den Gittern entlang und grinste uns an. »Zwei so schöne Exemplare.«
»Lass uns sofort hier raus!«, brüllte ich ihn an. Ich wollte zu ihm stürmen, doch meine Fesseln waren zu kurz und zogen mich wieder an die Wand. Er lachte, dann verschwand er.
»Er versteht dich nicht«, sagte der Fuchs.
»Verstehst du, was er sagt?«
Er zuckte mit der Schulter. »Manches, doch will ich es nicht. Er hetzt nur über uns her. Du?«
Ich nickte.
»Wie heißt du?«, fragte mich der Volpur.
»Ozeana«, antwortete ich.
»Ich bin Niven.«
»Wie lange bist du schon hier?«
Er zuckte mit der Schulter. »Ich weiß es nicht.«
Irgendetwas passierte draußen. Ich hörte Pferde wiehern und schnauben. Es klapperte und klirrte, dann setzte sich der Wagen in Bewegung.
Ich sah mich ruckartig um, mein Herz raste.
»Wo fahren wir hin?«, fragte ich.
Niven zuckte mit den Schultern. »In ein anderes Dorf, einen anderen Ort. Irgendwo, wo er uns zur Schau stellen kann.«
»Aber, dort werden Mama und Papa uns nicht finden.« Mein Magen zog sich zusammen. Wieder versuchte ich, an die Gitterstäbe zu kommen, doch die Fesseln waren zu kurz.
Ich ärgerte mich, dass ich das gemacht habe. Wäre ich doch nur bei Maja geblieben. Warum machte ich so was? Warum wollte ich Niven retten, er schien es gar nicht zu wollen.
Niven seufzte. »Meinst du, deine Familie wäre gekommen, um dich zu retten?«
Ich nickte. »Ja, wären sie. Sie werden mich finden und retten.« Das hoffte ich. Meine Augen wurden feucht, mein Bauch zog sich zusammen.
»Es tut mir leid. Du hättest dortbleiben sollen und dich nicht um mich kümmern, Kind. Du bist noch jung und hast noch so viel vor dir. Aber ich? Ich bin alt, ich habe meine Familie verloren. Ich habe alle im Stich gelassen. Ich bin verloren. Ich bin dazu verdammt, hier in dem Käfig hausen zu müssen und zu hungern. Für mich ist es trotzdem noch besser, als von den Wölfen gefressen zu werden oder da draußen in der Ödnis überleben zu müssen.«
Während der Fahrt sah ich, wie die Bäume an uns vorbeizogen. Über den braunen Wiesen stieg Rauch auf. Der Horizont war grau. Die Kälte kroch unter mein Fell. Der Wind wehte mir ins Gesicht. In der Ferne sah ich ein paar Rehe über die Wiesen springen. Auch wenn sie etwas zu fressen zu suchen schienen, sie waren frei. Selbst, wenn ich noch mal Würmer oder Spinnen essen müsste, ich hätte etwas im Magen und wäre frei.
Immer wieder ruckelte der Wagen, wenn wir über Steine oder Löcher fuhren. Die Eisenschienen der Räder klapperten laut, wie sie so über den Weg fuhren.
Ich überlegte, wie wir hier raus kommen können.
Wir kamen in ein Dorf. Kleine Häuser standen am Wegesrand, Hunde bellten. Eine Frau stand vor ihrem Haus, neugierig sah sie uns an.
Wir hielten auf einem Platz an. Er schmiss uns etwas zu Essen rein. Ich biss ab, es schmeckte nicht, doch der Hunger trieb es herunter.
Der Mann stellte sich vor den Käfig und rief: »Seht, der Käfig der Kuriositäten ist wieder im Ort. Diesmal sogar mit 2 Schmuckstücken.« Er hatte seine Arme ausgebreitet. Die Leute versammelten sich davor und begafften uns. Es war so unangenehm, wie sie uns beobachteten. Ein paar Menschen warfen Münzen in einen Topf, der vor dem Wagen stand. Einige schauten uns mitleidig an, doch sie unternahmen nichts. Niemand tat etwas.
Den ganzen Tag wurden wir begafft.
Auch wenn ich noch Hunger hatte und mir kalt war, so bin ich trotzdem am Abend eingenickt. Ein Rascheln weckte mich. Ich hörte von draußen ein Flüstern, dann Schritte, die näher kamen. Die Tür knallte laut, dann flog sie auf. Mama und Maja standen im Käfig. Sie lösten unsere Fesseln. Beide sahen mich mit Tränen in den Augen an.
»Was machst du?«, fragte Mama mich. Ich fing an zu weinen, konnte nichts sagen und zuckte mit der Schulter, während ich zu Boden schaute. Dann umarmte sie mich. »Es ist alles gut mein Kind«, flüsterte sie mir ins Ohr und streichelte mir über die Mähne.
Von draußen dröhnte die Stimme unseres Peinigers. »Was macht ihr hier? Ihr brecht in meinen Wagen ein und klaut meine Sachen?!«
Maja drehte sich um und schrie ihn an. »Deine Sachen? Das sind Wesen und keine Gegenstände. Aber einen Büttel interessieren die Sachen schon. Entweder, du lässt sie gehen oder ich melde es.«
»Aber … aber … ich möchte keinen Ärger.«
Er wurde ruhiger, ging einen Schritt zurück und hatte die Handflächen aufgerichtet. Sein Kopf wurde rot.
Hinter ihm stand eine Wache. Während wir gingen, hörte ich ihn winseln.
»Was ist mit ihm«, fragte ich.
»Wachen kommen, wird büßen«, antwortete Maja.
Ich war erleichtert, dass sie uns gefunden haben und befreiten. Niven ging mit uns mit.
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