Egon und der Apfel

Folgende Geschichte entstand im Rahmen der Schreibwerkstatt von Nicole Zaspel

Egon saß in seiner Stube und hatte das Radio laufen. Es kam gerade ein Beitrag zu New York, dem Big Apple. Er sah einen großen rotglänzenden runden Apfel vor sich. Das Wasser lief ihm im Mund zusammen.

Hatte Erika nicht Äpfel mitgebracht?, dachte er. Er stand auf und tastete sich an dem Tisch vorbei. Er bemerkte, dass ihn Erika wieder verschoben hatte. Er wurde mürrisch. Hansi, sein gelber Wellensittich zwitscherte aus der Küche. Er musste nur diesem Laut folgen. Dann war er auch schon in der Küche. Sein Bein schmerzte heute besonders stark. Wetterumschwung, dachte er. Könnte ja langsam wieder Frühling werden.

Da kam auch schon das Wetter im Radio. 8°C Höchstwerte, Regen und Schnee wurde angesagt. »Und das im April«, sagte er laut und seufzte. Hansi zwitscherte darauf los, als würde er antworten.

Apfel Icon
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»Sag ich doch! Scheiß Wetter!« Er tastete sich zur Küche und griff zu der Schale, die auf dem Kühlschrank stand. Da war ein Apfel. Er nahm ihn und legte ihn auf den Tisch. Dann ging er zu der Schublade mit dem Besteck. Er griff hinein und tastete sich vorsichtig zu den Messergriffen ran. Er spürte das große Brotmesser, das Santoku und das Kochmesser. Den Griff des kleinen Messers, mit dem er sich die Äpfel immer aufschnitt, spürte er nicht. Er tastete noch mal die Messer ab. Es war nicht da. Er wurde nervös, rammte mit voller Wucht die Schublade zu.

»Wo ist dieses Scheiß Messer hin?«, fluchte er. Er schimpfte auf Erika. Er hatte ihr Ordnung beigebracht. Sie wusste, dass alles an seinem Platz sein musste. Hat sie wieder das Messer weggepackt. Was wollte sie überhaupt damit?, fragte er sich. Er tastete vorsichtig die Küchenzeile ab, dann das Abwaschbecken. Da spürte er diesen kleinen rauen Griff. Es muss ein Holzgriff sein, dachte er. Das war das Messer. Dann fiel es ihm wieder ein. Er hatte heute Morgen schon einen Apfel gegessen und das Messer dort abgelegt. Hansi schimpfte in seinem Käfig.

»Sag du mir jetzt auch noch, dass ich ein Trottel bin!«, schimpfte er den Vogel an. Aus dem Hängeschrank nahm einen Teller heraus und setzte sich auf die Sitzbank hinter dem Tisch. Er nahm den Apfel und das Messer. Er versuchte, ihn aufzuschneiden. Ging nicht. Er fluchte, überlegte das Messer und den Apfel wegzuschmeißen. Tat es aber nicht. Scheiß Plasteobst, dachte er und seufzte. Muss ich noch mal aufstehen. Er stand auf und schmiss den Apfel durch den Raum. Er stieß mit dem Knie voll gegen das Tischbein. »Aua«, schrie er. Dann humpelte er zum Kühlschrank und griff noch mal in die Schale. Er ertastete sich einen weiteren Apfel. Diesmal roch er dran. Dabei steig ihm der sanfte süße fruchtige Duft in die Nase. Er nickte zustimmend. Dann setzte er sich an den Tisch und schnitt ihn auf. So, wie es früher seine Mutter getan hatte. Er biss nicht einfach so in Äpfel. Sie mussten aufgeschnitten sein. Der Krebs musste entfernt sein. Sonst aß er ihn nicht.

Vorsichtig schnitt er den Apfel auf. An seinen Händen wurde es feucht und klebrig. Der Apfel musste saftig gewesen sein. Heut morgen der war staubtrocken und mehlig, dachte er. Dann schnitt er vorsichtig den Krebs raus und biss in das Stück. So süß und saftig, aber auch etwas herzhaft. Er versuchte, die Sorte zu erkennen. Grafensteiner? Es erinnerte ihn an früher, als er immer in den Garten spielte und sein Opa ihn die Äpfel mundgerecht schnitt. Das macht schon lange keiner mehr, dachte er. Dann hört er, wie sich die Haustür öffnete.

»Ist das wer?«, rief er durch den Raum. Dann roch er diesen zarten Geruch von Rosen.

»Erika, bist du das?«, rief er.

Er hörte die Schritte und das Knistern der Jacke. »Ja Pappa, ich bins.«, sprach sie. Er sah sie vor sich. Wie sie damals aussah. Blonde lange Haare, ein rundes Gesicht und die blauen Augen. So schön, wie ihre Mutter.

»Musst du heute nicht in die Akademie und Anwärter zu Immobilienmakler unterrichten?«, fragte sie.

Egon biss noch mal vom Apfel ab. Er schüttelte den Kopf. »Nein, das ist morgen«, sagte er, während er kaute.


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