Sie trieben mit dem kleinen Boot über das Meer. Die See war still, der Motor brummte leise vor sich hin. Der leichte Wind hauchte durch das pechschwarze Haar des Jungen. Die Wellen plätscherten sanft gegen den Rumpf. Vartan und seine Familie brachen vor ein paar Stunden von der Insel Vallandir auf, um nach Hundertbrück, im Süden Andavias zu fahren.
Die Sonne schien hoch am Himmel. Es war Mittag. Neben ein paar Schleierwolken zog auch eine Haufenwolke an ihnen vorbei. Vartan saß auf der Planke, die am Heck befestigt war und beobachtete diese gespannt. Seine Augen strahlten dabei wie hellblaue Amethysten. Sie wirkte, wie ein Drache, der seine Runden drehte. Neben ihm saßen seine Mutter und sein kleiner Bruder. Sie spielten. Dorien lachte herzlich. Der Vater stand an der Plicht. Er hatte das Steuerrad locker in der Hand. Ab und zu drehte er sich um, um nach seiner Frau und den Kindern zu schauen. Er grinste dabei und pfiff leise auf den Lippen ein Lied.
Vartan schaute wieder in den Himmel. Es hatte sich eine zweite Wolke dazugesellt. Es wirkte, als würde der Drache Feuer speien. Der Junge bekam bei dem Anblick des großen Gebildes eine Gänsehaut.
Das Boot fing plötzlich an zu wackeln und auf der See hin und her zu tanzen. Sie wurde launischer. Neben ihnen drangen Blasen aus dem Wasser. Die Wellen wurden größer. Die Ersten ergossen sich über dem Kutter. Sie versuchten, sich auf der Planke zu halten. Der Vater hielt dabei das Steuerrad fest in der Hand.
»Geht sofort Unterdeck!«, befahl er. Sie waren bereits nass. Sie standen auf und versuchten mit, aller Kraft unter das Deck zu gelangen. Dabei wackelte das Boot doller hin und her. Die Wellen wurden größer und größer. Immer mehr Wasser gelangte in das Boot hinein. Der kleine Motor schaffte es nicht mehr, gegen diese Giganten anzukommen und verstummte. Der Vater, der noch immer das Steuerrad fest in der Hand hielt, schaute nach vorn und war von dem Anblick erstaunt. Eine gigantische Welle bäumte sich vor ihm auf. Sie reichte bis in den Himmel hinauf und legte sich wie ein Schatten über das Boot, bis sie aus der Höhe hinabstürzte.
Unterdeck saßen derweil Vartan, Dorien und ihre Mutter. Sie hatten Angst. Dorien weinte. Sie hielt ihn fest im Arm, um ihn zu trösten. Es knallte laut, plötzlich war alles ruhig. Sie waren im Wasser. Von dem Boot waren nur noch die Bretter übrig. Der Motor versank in die Tiefen. Ein Sog riss Vartan von seiner Mutter weg. Sie streckte die Hände nach ihm aus, konnte ihn aber nicht greifen. Er war zu weit weg. Sie schrie. Verstummte. Aus ihren Munden traten Blasen heraus. Vartan verlor das Bewusstsein.
Die Möwen kreischten über ihm, die Sachen waren nass. Er schmeckte den Sand. Nur langsam öffnete der Junge die Augen. Daneben lagen zerbrochene Holzbretter. Es wirkte wie ein Traum, doch Vartan wusste, dass er das nicht geträumt hatte.
Die Geschichte entstand für den Schreibwettbewerb Heraus mit dem Sprachen von Die Wortfinder e. V. Dabei zeichneten behinderte Menschen Bilder, zu denen Autoren aufgerufen wurden Texte zu verfassen. Es ist das schönste Projekt, an dem ich teilnehmen durfte. Zu bestellen gibt es das Buch unter https://www.diewortfinder.com/heraus-mit-den-sprachen/das-buch/
Der Text wird ebenfalls in einer überarbeiteten Version im Buch Götterspiele I: Die Schicksale im Schatten enthalten sein.
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